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LÄCHELN WENN DER KUNDE SCHREIT - WIE GEHT MAN BEI DER HOCHBAHN MIT NEGATIVER STIMMUNG UM?

Neuer Anrufrekord bei den Hamburger Verkehrsbetrieben. Rund 400.000 Anrufe gingen 2019 bei der Hochbahn, Hamburgs größtes Verkehrsunternehmen, ein. Für die Mitarbeiter im Kundendienst oft auch eine emotionale Herausforderung.

Susanne Bülow arbeitet im Call Center- so wie rund 540.000 andere in Deutschland. Bei ihr rufen Menschen an, die eine Fahrplanauskunft haben wollen oder Fragen zu ihrem Abonnement haben. Wer im Call Center arbeitet, bekommt oft viel Ärger ab. Das belastet die Psyche und kann krank machen. Offizielle Zahlen des AOK- Bundesverbandes belegen, dass Call Center Agents viel häufiger krank sind als Mitarbeiter anderer Berufe.

Der Mitarbeiter wird immer mehr zum Diener

Konstantin Breuer sieht das Problem in der Serviceorientierung unserer Gesellschaft. „Der Kunde soll als König behandelt werden und weiß das natürlich auch. Dementsprechend fordert er das ein und vergisst dabei seine Manieren.“ Da kann es schonmal vorkommen, dass Konstantin persönlich beleidigt wird. Gefallen lassen tut sich der Student das aber nicht. „Ich habe den Anspruch Gespräche auf Augenhöhe zu führen und gebe dann auch ganz gerne Kontra. Bei der Hochbahn haben wir nämlich den Vorteil, dass die Kunden etwas von uns wollen und wir nichts verkaufen müssen. Das macht den Umgang mit Beleidigungen deutlich einfacher.“

Im Großraumbüro hat jeder Vollzeitangestellte seinen eigenen Arbeitsplatz, der nach eigenen Wünschen gestaltet werden kann.

Es steht und fällt mit den Kollegen

Auch Susanne weiß die Hochbahn als Arbeitgeber zu schätzen. Stress empfindet sie, dank der angenehmen Atmosphäre und der fehlenden Leistungsüberwachung, nun kaum mehr. Vor ihrer Mutterschaftspause jedoch hat sie lange in einem anderen Call Center gearbeitet. „Es war genauso wie man es aus Filmen kennt. Ein großer Raum, abgetrennt durch einzelne Kabinen. Ich musste eine bestimmte Anzahl an Anrufen pro Stunde schaffen, die zum Teil mitgehört wurden, also Dauerstress pur.“ Kontakt zu ihren Kollegen hatte Susanne dort kaum. Dabei sind es die Kollegen, die erheblich zur Stressreduzierung beitragen. „Nach einem Gespräch, in dem ich beschimpft und beleidigt wurde, hilft es mir mit anderen darüber zu reden. Ich brauche dann die Bestätigung, dass ich alles richtig gemacht habe. Danach kann ich meistens das Geschehene abhaken und muss es nicht mit nach Hause nehmen,“ so die die 51-Jährige.

Die Neueinsteiger müssen ihren eigenen Weg finden, mit den Beschimpfungen umzugehen. Bereits nach einem Einarbeitungstag sind sie bereit, den Telefonhörer in die Hand zu nehmen. Alex Görs ist erst seit ein paar Wochen dabei. Ihm hilft nach schwierigen Gesprächen ein Blick auf die Zeichnungen seiner Kinder, welche neben dem Computer hängen. Jeder Vollzeitangestellte hat einen festen Arbeitsplatz. Die eigene Tastatur, der eigene Computer und ein paar persönliche Fotos drum herum, sollen die Beschäftigten bei Laune und im Unternehmen halten.

„Unsere Arbeit ist nicht unseriös“

Was alle Mitarbeiter vereint, ist der Stolz auf ihre Arbeit. Sie helfen gerne und suchen den Kundenkontakt. Wünschen würden sich die Mitarbeiter mehr Anerkennung für ihre Arbeit. „Wenn ich meine Arbeit im Call Center erwähne, reagieren viele oft abwertend, als ob es etwas unseriöses wäre“, so Susanne. Gerade auf Elternabenden wurde sie oft wegen ihres Berufes schief angeguckt. Doch dann gibt es aber auch noch die Sorte Anrufer, die sich in ihre Stimme verlieben. „Wie oft ich schon auf Dates eingeladen wurde, kann ich gar nicht zählen. Ein Heiratsantrag war auch schon dabei.“

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Eine Leistungsüberwachung des Einzelnen gibt es bei der Hochbahn nicht, lediglich eine Gesamtübersicht der angenommenen Anrufe mit Wartezeit

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Die selbstgemalten Bilder seiner Kinder helfen Alex G. in manchen Situationen ruhig zu bleiben.

DAUERSTRESS UND NEGATIVE STIMMUNG?!

Nicht bei der Hochbahn! Statt der allzu bekannten „Großraumhölle“ hat mich ein gemütlich eingerichtetes Großraumbüro mit angrenzender Küche erwartet. Kostenlose Snacks und Getränke wurden hier für die Mitarbeiter bereitgestellt, eine Sitzecke lädt zum Austauschen ein. Ich bin mit einigen Vorurteilen in den Tag gestartet und wurde vom Gegenteil überzeugt:
 

  1. „Im Callcenter arbeiten nur geringqualifizierte Menschen“
    Wirklich überraschend für mich war, dass alle Mitarbeiter im Kundendienst über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. Viele haben sogar ein abgeschlossenes Studium oder sind selbst noch Student.

     

  2. „Sie arbeiten nur hier, weil sie nichts besseres finden“
    Dagegen spricht sicherlich die lange Betriebszugehörigkeit der meisten Mitarbeiter. Viele sind schon seit über 20 Jahren für den Kundendienst der Hochbahn tätig und schätzen insbesondere die flexiblen Arbeitszeiten, den Kundenkontakt und die abwechslungsreichen Tätigkeiten.

     

  3. „Es ist doch nur telefonieren“
    Ein einziger Blick auf den Bildschirmen der Mitarbeiter reicht um dieses Vorurteil zu entkräften. Die Mitarbeiter müssen das ganze Hamburger Verkehrsnetz im Kopf haben, da die Kunden oftmals nicht den Namen der Haltestelle wissen, sondern nur den Straßennamen.

Mein Fazit
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Die Tätigkeit im Callcenter ist eine immens anstrengende und fordernde Aufgabe, für die nicht jeder geeignet ist. Wer einen Tag lang den Gesprächen lauscht, versteht warum Service am Telefon zu schwierig ist. Auch wenn die Mitarbeiter der Hochbahn erklärten, wenig Stress bei der Arbeit zu empfinden, ist das wohl eher die Ausnahme von der Regel. Bei meinem nächsten Anruf in der Hotline werde ich auf jeden Fall extra freundlich sein.

FAZIT
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